Es lag an der Beschaffenheit der schaumburgischen Landschaft um die Zeitenwende, dass die Entwicklung der Landwirtschaft von dem Gang der Besiedelung nicht zu trennen war.
Denn die Urlandschaft der Grafschaft Schaumburg war zu jener Zeit der geschlossene Laubwald, der auch die Täler wie ein dichtes Polster überzog. Die Quellen über die Ansiedelung der bäuerlichen Sachsen in unserem Heimatgebiet sind sehr spärlich. Sie gehen zurück auf Entdeckungen bei Ausgrabungen und auf die schriftlichen Zeugnisse der Schreibkundigen römischen Eroberer.
Sicher ist, dass die holsteinischen Sachsen gegen Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. nach Süden über die Elbe vordrangen und im 5. und 6. Jahrhundert auch die hier noch ansässigen Cherusker in ihren Volksverband, den sächsischen Großstamm, aufnahmen. Sicher ist auch, dass die Ansiedelung immer in Gruppen erfolgte. Wo es nötig und möglich war, wurde der Wald gemeinsam von einer solchen Gruppe von Siedlern gerodet. Dabei haben die ersten sächsischen Ansiedler besonders die Becken der Landschaft mit ihren guten, schweren Lößböden bevorzugt, in denen so genannte Parklandschaften mit weniger dichtem Wald vorhanden waren. Denn hier waren die Rodungsarbeiten nicht so umfangreich, und für das Weidevieh boten sich sofort Futterplätze an.
Das in eine Parklandschaft oder in ein dichteres Waldstück hineingerodete Feld bzw. „gewonnene“ Ackerland hieß „Gewann“. Diese Gewanne lagen anfangs um die sehr wenigen Dörfer Schaumburgs herum. Die der einzelnen Bauernfamilie zugeteilte „Hufe“ (ein Stück Land von 30 Morgen) lag im Gemenge. Die Hufenanteile eines Gewannes wurden mit der gleichen Frucht bestellt. Die Gewanne dienten im jährlichen Wechsel als Acker- und Brachland (Flurzwang). Das Brachland blieb zur Erholung des Bodens umge„broch“en liegen und diente als Weide (Feldgraswirtschaft). Daneben waren Wald, Wasser, Wiese (Hude) und Wege Allgemeinbesitz (Allmende).
Der Feldanbau bestand aus Obst, Gemüse und Getreide (Gerste, Hirse, Weizen). Nach etwa zwei Jahrhunderten kamen Roggen, Hafer und Flachs hinzu. Die Viehzucht wurde mit Schweinen, Rindern, Schafen, Ziegen, Pferden und Federvieh betrieben. Das Bauernhaus in dieser Zeit (5. oder 6. Jahrhundert) war ein langes, dreischiffiges Einheitshaus aus Holz oder Fachwerk mit einem Giebeldach aus Schilf oder Stroh. Es hatte keine Vorhalle. Wohnung, Ställe, Dreschtenne und Vorratsräume befanden sich unter einem Dach.
Kurz vor der Christianisierung durch den Frankenkaiser Karl (nach 800 n. Chr.) gab es im Gebiet der späten Grafschaft Schaumburg bereits 25 Bauerndörfer:
Fischbeck, Weihbeck, Oldendorf, Großenwieden, Welsede, Ahe, Engern, Deckbergen, Ostendorf, Westendorf, Alt-Rinteln, Möllenbeck, Rumbeck, Fuhlen, Exten, Hohenrode, Goldbeck, Apelern, Soldorf, Hegesdorf, Algesdorf, Grove, Nenndorf, Beckedorf und Ohndorf.
Vor der fränkischen Eroberung gab es noch keine Güter. Diese entstanden erst mit und nach der fränkischen Besatzung. Mit der Frankenherrschaft begann auch die Überlieferung in lateinischer Sprache, die von christlichen Missionaren, welche den fränkischen Heeren unmittelbar folgten, gesprochen und geschrieben wurde. Mit den Franken drang aber auch das römische Recht, das römisch- orientalische Geldwesen und die römische Agrarverfassung in unser Gebiet ein.
Die ältesten und fruchtbarsten offenen Landschaften mit dem schweren Lößboden lagen während des Sachseneinmarsches im Wesertal. Hier konnten die fränkischen Missionare zuerst Fuß fassen. Hieran erinnern uns heute noch die Klöster Fischbeck und Möllenbeck. Die Klöster unterstanden bei ihrer Gründung bereits dem Bistum Minden. Vom Wesertal aus drangen die Missionare in das Auetal vor und gründeten hier das Archidiakonat Apelern. Nordschaumburg war um diese Zeit noch dichtes, sumpfiges und ungerodetes Waldgebiet.
Mit den Christianisierungsmethoden durch die fränkische Besatzung wurde auch ein neues Verwaltungs- und Steuersystem eingeführt. Durch politische Dekrete wurden die Bauern mit ihrem damaligen freien Besitz den Beamten, Kirchen und Klöstern abgabepflichtig, später auch Grafen und Rittern hörig oder leibeigen. Die römische Agrarverfassung schrieb die Dreifelderwirtschaft vor: Das Ackerland wurde in drei „Schläge“ für eine abwechselnde Sommerfrucht, Winterfrucht und Brache aufgeteilt.
Da die Kriegszüge Karls des Großen einen hohen Blutzoll forderten, wurden auch die sächsischen Bauern im sogenannten Bauernaufgebot zum Kriegsdienst gepresst. Auch fühlten sich die Bauern durch die Pflicht zum Thing bedrückt. Um kriegsdienst- und thingfrei zu werden, gaben damals viele Freie ihr Land einem Grundherren (Kloster, Kirche, Graf, Ritter). Von diesem erhielten sie ihren Hof als Zinslehen zurück und bewirtschafteten ihn als unfreie Hintersassen. Als solche standen sie nun unter dem Schutz ihren Grundherrn und waren diesem zu Abgaben und erträglichem Frondienst verpflichtet (z.B. Erntehilfe, Wegebau, Ackerbau, Holzschlag). Der Grundherr war gleichzeitig auch der Richter über die Hintersassen, aber nach sächsischer Auffassung von Herrenpflicht auch wirtschaftlich ihr Beschützer, besonders bei Missernten und Naturkatastrophen.
Man kann annehmen, dass um das Jahr 1000 n. Chr. der gesamte Grund und Boden bereits das Eigentum der landfremden Grundherren war, die ihn durch Hörige, Leibeigene oder Knechte bearbeiten ließen. Die Verwalter dieses Grundherrenbesitzes waren keine fränkischen Beamten, Mönche oder Geistliche, sondern meistens frühere freie Bauern, die ihren Besitz schon zu Lebzeiten als Eigentum an die Kirche verschenkt hatten, um dagegen die so genannte Klosterimmunität einzutauschen, d.h. sich der Kriegsdienstpflicht zu entziehen.
Auch durch solche Übereignungen, Stiftungen und auch durch Kauf kam ein großer Güterbesitz in die Hände geistlicher Körperschaften, Grafen und edler Herren, der in sich nicht geschlossen, sondern weithin über das Land verstreut war. Die Streulage des zu ihnen gehörenden Besitzes erforderte die Schaffung einer neuen Form der Bewirtschaftung. Folglich wurden die in einem engeren Bezirk liegenden Hufen und Höfe eines Grundherrn zu einem Verband (Villikation) zusammengefasst, den ein beamteter Dienstmann, Meier, Hauptmeier oder Villikus verwaltete. Er hatte seinen Sitz auf dem Fronhof, auch Salhof, Haupthof oder Vorwerk genannt. Unter ihm standen die hörigen Hintersassen (Laten) mit den dazugehörigen Hufen und die Knechte, die den Fronhof bearbeiteten.
Der Meier richtete im Hofgericht, zu dem alle Familien des Verbandes gehörten, zog die Abgaben von den Hufen der Hintersassen (Lathufen) ein und führte diese nach Abzug seines ausbedungenen Anteils an den Grundherren ab. In diesem Verband waren nicht alle Hintersassen leibeigen geworden; ihre Hufen waren nach wie vor erblich.
Als um das Jahr 1130 n. Chr. auch die kleinen Lehen erblich wurden, fasste mancher Meier sein Amt als Vorsteher eines Fronhofes als ein Lehen auf und trachtete danach, es ebenfalls erblich zu machen. Dieses Ansinnen bedeutete praktisch für die Grundherren den Verlust der freien Verfügung über ihr Eigentum und ihre Einkünfte. Deshalb gaben sie das System der Fronhöfe auf. In der Mehrzahl der Fälle wurde der Meier nun auf den Haupthof, auf dem er saß, beschränkt. Die Hufen der Hintersassen bzw. Hörigen von jetzt ab auch Meier genannt wurden entweder diesem in Zeitpacht übergeben, oder die Hintersassen wurden freigelassen, wenn sie bereit waren, ihre Hufen aufzugeben.
Mehrere auf diese Weise freigewordene Hufenhöfe wurden zu einem größeren Zeitpachthof vereinigt, dessen Pächter ebenfalls der Meier hieß. Auch diese Meier leisteten ihre Abgaben und Frondienste direkt an den Grundherrn. Wohnte dieser aber zu weit entfernt, trat an die Stelle der Dienste das Dienstgeld oder eine Erhöhung der Abgaben. Die Pacht konnte, wenn der Meier oder der Grundherr starb, jedes Mal erhöht werden; damit befand sich der Grundherr in der Lage, bei einer Steigerung des Bodenertrags auch eine höhere Pacht zu ziehen. Somit war an die Stelle des Fronhofsystems die Meierverfassung getreten, die in ihren Grundzügen, wenn auch mit mancherlei Veränderungen, bis zum Jahre 1848 in Kraft blieb. (Im Jahre 1848 wurde für die Grafschaft Schaumburg ein neues, landwirtschaftliches Sonderrecht nach dem Muster des hannoverschen Höferechts eingeführt, das die alte schaumburgische Meierordnung und ihre im Jahre 1774 verbesserte Fassung, die alle bäuerlichen Rechtsverhältnisse regelte, außer Kraft setzte.)
Aus den ehemaligen Fronhöfen entstanden nun die als Lehen an ritterliche Dienstmannen vergebenen Sattelhöfe, aus denen sich oft Rittergüter entwickelten. Geht man der Geschichte der Rittergüter im Schaumburgischen nach, dann stößt man immer auf einen Sattelhof und weiter zurück oft auf einen Fronhof. Für die Hintersassen, die ihre Höfe verloren hatten und frei geworden waren, gab es mehrere Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt neu zu begründen
Entweder wurden sie Handwerker oder wanderten in die Städte ab oder beteiligten sich als Siedler an der großen Waldrodung im 12. und 13. Jahrhundert, oder aber sie wanderten nach Schlesien, wo damals gerade die Kolonisierung begann, und schufen sich dort einen neuen Hof. Einige von ihnen traten in den Kirchenoder Ritterdienst. Viele aber ließen sich von ihrem alten Grundherrn ihre Hofstelle, die nun ohne Land war, als Abfindung geben und erhielten die Erlaubnis, vom Dorfe aus am Rande der Feldmark den Wald zu roden.
Dieser Teil der Hintersassen (Laten) wurde nach der erneuerten Meierverfassung (1774) nicht mehr Meier, sondern Kötner genannt. Andere Hintersassen, die dort, wo die Auflösung des Verbandes (Villikation) des Grundherrn nicht geglückt war, auf ihrer einen Hufe verblieben waren, hielten später den Vergleich mit dem aus zwei, drei oder vier Höfen der Hintersassen zusammengelegten Meierhof nicht aus und wurden, obgleich sie meierrechtlich dieselbe Stellung einnahmen wie die Meier, ebenfalls zu Kötnern degradiert. So unterschieden sich die Kötner durch ihre geringe Ackerfläche deutlich von den Meiern.
Es konnte beobachtet werden, dass dort, wo den Grundherren im 13. Jahrhundert die Auflösung des Verbandes (Villikation) nicht gelang, große Meierhöfe von mehreren Hufen in einigen Dörfern fast völlig fehlten (z.B. im Bereich Exten). Dafür traf man eine ganze Reihe kleiner, nur mit einer Hufe versehener, aber sehr alter Höfe an, auf denen nicht Meier, sondern Kötner saßen; ihr Land lag im Gemenge mit Meierland.
Diese Kötner sind scharf zu trennen von jenen Hintersassen, die sich neues Land durch Rodung am Rande der Dorfmarken erwerben mussten und dadurch Kötner wurden. Die Altkötner saßen nicht erst seit dem 13. Jahrhundert auf ihren kleinen Höfen, die älter waren als die Meierhöfe, sondern bereits weit davor. Und noch im 16. Jahrhundert hatten ihre Höfe fast die gleiche Ausdehnung wie vor dem Jahre 1200, als sie einer Ackernahrung entsprachen. Es ist also nicht richtig, wenn bislang den Meierhöfen ein höheres Alter zugesprochen wurde als den Hofstellen der Kötner.
Zur Schichtung des Bauerntums in jener Zeit kann man zusammenfassend ausführen: Je nach der Größe des Hofes oder nach Belieben des Grundherrn waren Meier in Voll-, Drittelund Halbmeier, Kötner in alte und junge unterteilt, oft unterschieden als Groß-, Mittelund Kleinkötner, und schließlich Brinksitzer, die sich etwa erst seit dem Jahre 1500 zu den beiden älteren Bauernschichten gesellten und wenig oder kein eigenes Land besaßen.
Der völlige Übergang zur Dreifelderwirtschaft nach der fränkischen Agrarverfassung und die Einführung der Ackerdüngung mit Mergel (kalkartiger Ton) steigerte in der Zeit von 900 bis 1200 die Ernteerträge so stark, dass die Grundherren, freien Bauern und auch Hintersassen, da der Grundzins an Getreide und Vieh trotz erhöhter Erträge gleich blieb, eine erste Blütezeit erlebten und zu wachsendem Reichtum kamen. Da in dieser Zeit die Bevölkerung im „Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation“ von drei auf acht Millionen anstieg und Städte wie Pilze aus der Erde schossen, konnten die landwirtschaftlichen Überschüsse gut nach dort verkauft werden. Aber auch in den Bauerndörfern wuchs die Bevölkerung stark. Es herrschte plötzlich große Landnot. Für nichterbende Bauernsöhne mangelte es an Ackerland und für Rittersöhne an Lehnsland.
Trotz oder wegen der plötzlichen landwirtschaftlichen Hochblüte, und weil die fränkische Besatzungsmacht und die römische Kirche ihre Machtposition gefestigt glaubten, wurde die einheimische Bevölkerung durch einschneidende Gesetze so unter Druck gesetzt, dass sich ihr Dasein schlagartig verschlechterte. Zugunsten der Grundherren wurden den sächsischen Bauern plötzlich die gemeinschaftliche Mark (die Allmende) und die Jagd- und Fischrechte weggenommen.
Das freie Thingrecht wurde durch das römische Recht verdrängt, welches keinen dörflichen Gemeindebesitz und keinen hörigen Lehnsträger zuließ. Der hörige Bauer war nach römischem Recht ein Sklave und besaß weder Rechte noch Schutz. Er genoss kein gesellschaftliches Ansehen; er hatte nur die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen und die fränkischen Kriegsheere aufzufüllen.
Um das Jahr 1200 hatte die Ackerbaulandschaft Schaumburg in den Grundzügen bereits ihr heutiges Aussehen. Nur das gesamte nördliche Schaumburg nördlich der Bückeberge bis an die Ufer des Steinhuder Meeres war noch geschlossenes Waldland und inzwischen Grundherrenbesitz. Dieses große Waldgebiet (der sogenannte Dülwald des Gaues Bucki), das im fruchtbaren Lößlehm wurzelte, stand nach der Rodung dem gesegneten schaumburgischen Altbesitz im Weserbecken in den Auen landwirtschaftlich gleichwertig zur Seite. Als in den Jahren zwischen 1000 und 1200 den vom Grundherrn abhängigen Meiern die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich von der Hörigkeit freizukaufen, damit aber auch den erblichen Anspruch auf ihren Hof aufzugeben, nutzten zahlreiche Hörige diese Gelegenheit zur persönlichen Freiheit. Sie besaßen danach nichts als ihre Familie und ihre Arbeitskraft. Diese Unabhängigen erhielten nun von den Schaumburger Grundherren Gebiete im nördlichen Waldland zugewiesen, die mit einer Umsicht, Schnelligkeit und Freizügigkeit gerodet und aufgesiedelt wurden, dass dieser Vorgang einer hochmittelalterlichen Kolonisation im sächsischen Altland noch heute unsere uneingeschränkte Bewunderung verdient.
So entstanden in der Zeit von 1200 bis 1300 alle die Bauerndörfer, deren Namen mit der Nachsilbe „hagen“ enden. Die Ansiedler drangen meist entlang der Bäche in den Wald vor. Doch entstanden auch Hagendörfer längs von Straßen, die man zuvor in den Wald hineingebaut hatte. Dem siedelnden Bauern wurde von der Straße aus ein Waldteil zugemessen, der zwischen 40 und 65 Morgen groß war. Er baute zunächst an der Straße seine Hofstelle und rodete von da aus den ihm zugeteilten Waldstreifen, der danach als geschlossener Besitz unter dem Bauernhof lag. Die Anlage der Höfe erfolgte fast immer an einer Straßenseite (nur Wiedensahl hat als Hagendorf eine doppelseitige Hofanordnung). Die Rodung des Waldes wurde solange fortgesetzt, bis sich die Gemarkungen zweier Dörfer gegenseitig berührten.
Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts teilten dann die Gebirge die Grafschaft nach der Güte des Bodens, der Größe der Ansiedlungen und der landwirtschaftlichen Entwicklung in drei Räume:
1. das Weserbecken, wozu auch die wenigen Siedlungen südlich des Wesertales im Lippischen Bergland gehören;
2. die beiden Auetäler zwischen Wesergebirge/Süntel, Bückeberge und Deister;
3. der nördlichste Teil, der bereits zum norddeutschen Flachland gehört.
Den besten ackerwirtschaftlich genutzten Boden der Grafschaft besitzt das Weserbecken: einen dickschichtigen Lößboden (Weserlöß). Im Raume der Auetäler besteht der Boden meist aus Verwitterungslehm der Jurakalke. Nur in den Gemarkungen Rodenberg, Apelern und Bad Nenndorf überzieht eine dünne Lößdecke den Verwitterungslehm. Der Boden des nördlichen Flachlandes besteht aus lehmhaltigem Lößboden.
Die Kolonisation, die durch die großen Rodungen des 12. und 13. Jahrhunderts das gesamte Gebiet des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ erfasste, diente gewissermaßen auch der Bereicherung der Grundherren durch die in Zinsknechtschaft lebenden Bauern.
So kam es in den Jahren 1524 und 1525 im Reich zum bewaffneten Aufstand der Bauern gegen ihre Grundherren. In zwölf Artikeln forderten sie die Abschaffung aller „ungesetzlichen“, gesellschaftlichen Zustände. Statt des römischen Rechts forderten sie freie Bauerngerichte. Als freie Christen verlangten sie freie Pfarrerwahl. Sie forderten die Milderung der Frondienste und Abgaben bzw. deren Abschaffung, freies Jagd- und Fischrecht, die Zurückgabe der Allmende und den freien Holzeinschlag. Da keine ihrer Forderungen erfüllt wurde, kam es zum Kampf mit den Waffen.
Die Bauern erstürmten Schlösser, Burgen und Klöster als Grundherrenbesitze und zogen plündernd mit ihren primitiv bewaffneten Haufen ohne einheitliche Führung durch die Lande. Ihnen schlossen sich nur wenige namhafte Führer an (Götz v. Berlichingen, Florian Geyer, Thomas Münzer). Ihre einzelnen Haufen wurden bald von den besser ausgerüsteten und ausgebildeten Söldnerheeren der Grundherren niedergekämpft. Die Sieger übten grausame Rache. Die Bauern als Verlierer sanken in eine noch tiefere Zinsknechtschaft und Untertänigkeit ab. Welche Abgaben und Dienste in der Reformationszeit unsere schaumburgischen Bauern ihren Grundherren zu leisten hatten, geht aus den seit dem Jahr 1550 angelegten Steuerregistern hervor. In ihnen ist der Grundherr, der Landbesitz, der Viehstand und der Landzins aufgezeichnet. Das Steuerregister enthielt auch genaue Angaben darüber, wie viel und welche Arten Getreide die Bauern abzuliefern hatten.
Das herkömmliche Getreidemaß war der Malter, ein Hohlmaß. Ein schaumburgischer Malter Roggen wog etwa 128 kg, ein Malter Gerste etwa 118 kg, ein Malter Hafer etwa 74 kg. Ein Malter war weiter unterteilt in drei Scheffel oder sechs Himten, ein Himten wiederum in vier Metzen. Noch heute sind vereinzelt Scheffelsaat, Himtsaat und Mettsaat als Größenbezeichnung für Landstücke von 1/3, 1/6 und 1/24 Morgen gebräuchlich.
Nach dem Steuerregister des Jahres 1561 lieferten die Bauernhöfe und Einzelhöfe des Amtes Schaumburg als jährlichen Landzins an ihre Grundherren 2.700 Malter Hartkorn (Roggen und Gerste), 2.700 Malter Hafer und 22 Malter Weizen ab. Das sind umgerechnet rund 534.716 kg Getreide. Von jeder Hufe Landes mussten etwa 6 Malter Korn abgegeben werden. Dem Grundherrn wurde der Hofzins in Schweinen, Hühnern, Eiern oder Geld entrichtet.
Zu dem Land- und Hofzins kamen noch die sogenannten Zehnten hinzu. Ursprünglich waren die Zehnten Eigentum der Kirchen. Von dort gingen sie später in den Besitz des Landesherren über. Von ihm wurden die Zehnten wieder teilweise verschenkt, verkauft oder den Adligen zu Lehen gegeben. So schenkte z. B. Graf Adolf im Jahre 1295 den Zehnten von Bensen an das Kloster Rinteln. Der Zehnte war die zehnte Getreidegabe, die der Zehntherr anfangs gewöhnlich selbst auf dem Felde auswählte. Der Bauer durfte das Korn nicht eher einfahren, bis der Zehnte abgeholt war. Später wurde der Feld-Zehnte auf eine bestimmte Menge Getreide festgesetzt. So betrug der Kornzehnte von Segelhorst 3 Fuder 9 Malter Korn (ein Fuder = 12 Malter). Später wurde der Zehnte auch auf das Vieh (Fleischzehnter) und die Flachsernte ausgedehnt.
Größere Grundherren in der Grafschaft Schaumburg waren damals der Graf selbst als Landesherr, die Klöster Fischbeck, Egestorf, Möllenbeck, Rinteln, Obernkirchen, Abdinghof in Paderborn, St. Simeon in Minden, Wunstorf, Loccum, Barsinghausen, das Mindener Domkapitel, das Martini-Kapitel in Minden, das Bonifatius-Kapitel in Hameln und der Adel. Der Bauer war seinem Grundherrn mit seinem Gute eigen. Diese Leibeigenschaft hatte in der Grafschaft Schaumburg die milde Form der Hörigkeit.
Sie bestand in der Hauptsache in der festen Verbundenheit mit dem Hofe, die jederzeit durch den Kauf eines „Freibriefes“ gelöst werden konnte. Der Grundherr bekam den Michaelisschatz und das Mahlschwein. Außerdem standen ihm die Spanndienste des Meiers und die Handdienste des Kötners zu. Die Meier mussten wöchentlich zwei bis drei Spanndienste zum Holzfahren, Pflügen und in der Ernte leisten, die Kötner die gleiche Anzahl mit der Hand. Diese Dienste wurden teilweise schon vor dem Dreißigjährigen Kriege (1618-1648) in eine Geldabgabe umgewandelt (Dienstgeld). Das Dienstgeld betrug beim Meier jährlich 10-20 Reichstaler und beim Kötner 2-5 Reichstaler. Die Spanndienste beim Bau von Burgen und Festungen nannte man „Burgfeste“. Weitere Abgaben gehörten zum Einkommen des Vogtes, des Pfarrers und des Küsters.
Eine noch genauere Beschreibung als das Steuerregister ließ sich der Fürst Ernst von Schaumburg im Jahre 1615 mit den sogenannten Lagerbüchern anlegen. Die Lagerbücher enthielten genaue Angaben über Ort, Name, Hörigkeit, Dienstpflicht, Geld-, Land- und Hofzins:
Gr. Hegesdorf: Meyer Marten Meyer, gehört mit der Erbbesaet nach dem Hause Rodenberg, gibt dahin Mahlschwein und Gebellkuh (Rind), zu Michaelisschatz 3 Thaler 12 Groschen, hat 3 Hufen Land (90 Morgen), gibt davon Münchhausen zu Apelern 1 1/2 Fuder dreierlei Korn, zu Hofzins 4 Hühner, 4 Stiege Eier, den Zehnten bekommt auch Münchhausen. Gibt an Haus Rodenberg 1 Fastelabendhuhn und 2 andere Hühner und hat gleiche Dienste wie die anderen Mayer, gibt 1 Himpten Gogrevenhafer (Gogreve war schaumburgischer Kanzler), nach der Landwehr 1 Brot (1 Fuder = 12 Malter).
Alle diese Dienste und Abgaben wurde im Zuge der sogenannten „Bauernbefreiung“ um 1835 gegen ein Kapital abgefunden. Die von dem Reichsfreiherrn vom und zum Stein im Jahre 1807 für den Befreiungskampf gegen Napoleon durchgesetzte Aufhebung der Erbuntertänigkeit der Bauern und der Adelsvorrechte in Preußen, die teilweise auch von anderen deutschen Landesherren übernommen war, brachte nämlich noch nicht die vollständige Befreiung des Bauern. Zwar wollte der Reichsfreiherr dadurch aus Untertanen Staatsbürger machen, indem Kinder nicht mehr zum Gesindedienst gezwungen werden durften, die Jugendlichen wieder ohne Erlaubnis der Grundherren heiraten und den Beruf frei wählen durften. Aber es gelang ihm damals noch nicht, die Abgaben und die Handund Spanndienste abzuschaffen, d.h. den Boden wieder zum Eigentum des Bauern zu machen. So mussten die Schaumburger auf ihre wirkliche Befreiung bis zum Jahre 1831 warten. Erst in jenem Jahre beschloss der Landtag zu Kassel die Ablösung der bäuerlichen Grundlasten und die Gründung der Landeskreditkasse, die eine Befreiung des Bauernstandes durch Kapitalabfindung erst möglich machte.
So wurde z.B. der Zehnte von Kleinhegesdorf im Jahre 1835 vom Klosteramt Barsinghausen für 4.125 Reichstaler abgelöst. Das Ablösungskapital wurde von der Landeskreditkasse in Kassel ausgeliehen und von den Bauern verzinst und abgetragen. Ablösungen durch Landabgabe an die Grundherren wie in Preußen und anderen Fürstentümern gab es in der Grafschaft nicht. In unserer Grafschaft soll zwischen Grundherren und Bauern stets ein patriarchalisches Verhältnis gemäß einer alten Weisheit bestanden haben, welche besagte, dass die Anmahnung einer Abgabe so vor sich gehen sollte, dass weder das Kind in der Wiege noch der Hahn auf dem Gatter erschreckt werde.
Unsere schaumburgische Landwirtschaft erlebte kurz vor dem Dreißigjährigen Kriege (1618 – 1648) eine zweite Blütezeit. Einen Einblick in die Zeit hohen Wohlstandes vermittelt uns das Steuerregister des Amtes Rodenberg von 1559 durch die Angaben des Viehbestandes der einzelnen Höfe. Der Hof Nr. 4 in Waltringhausen hielt in jener Zeit 9 Pferde 13 Kühe, 13 Schweine und 40 Schafe. Und der Hof Nr. 2 in Großhegesdorf hielt 8 Pferde, 11 Kühe, 10 Schweine und 3 Ziegen. Die hohe Zahl der Pferde war durch die Belastung der Höfe mit Spanndiensten, durch die Streulage der Felder vor der Verkoppelung (1880) und durch Vorspannfuhren bedingt.
Dem Steuerregister des Amtes Schaumburg für das Jahr 1561 konnte entnommen werden, dass damals im Gebiet dieses Amtes 67 Siedlungen und 978 Feuerstellen lagen. 645 Feuerstellen waren bäuerlich mit einem Landbesitz bis zu zehn Morgen herunter; die übrigen Feuerstellen gehörten Brinksitzern, Handwerkern und Tagelöhnern. Nur 25 Einwohner des Amtes galten als arm oder zahlten keine Steuern. Auf den damaligen Wohlstand im Amte Schaumburg weisen auch die Zahlen der gehaltenen Tiere hin: 3.032 Pferde, 5.260 Kühe, 6.370 Schweine und 9.749 Schafe.
Der damalige bäuerliche Wohnstand zeigt sich auch bei der Abfindung der Söhne und der Mitgift der Töchter. Aus den Eheverschreibungen um 1600 entnimmt man Aussteuern von 200 Reichstalern neben dem üblichen Brautschatz an Hausrat und Vieh. Meistens waren vier und mehr Kinder vom Hofe abzufinden. Daraus kann man entnehmen, was ein Hof damals aufzubringen vermochte. Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Fürst Ernst von Schaumburg (1601-1622) für die Grafschaft anordnete, dass zur Aussteuer eines Kindes nicht mehr als 100 Taler aufgewendet werden sollten. Dieser Blütezeit der bäuerlichen Wirtschaft bereitete der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges ein jähes Ende. Schonungslos trieben die Befehlshaber der katholischen und evangelischen Heere Kontributionen an Geld und Naturalien ein. So musste allein das Amt Rodenberg bis zum 1. Juni 1623 an das in Oldendorf für die evangelischen Truppen des Herzogs Christian von Braunschweig eingerichtete Magazin die folgenden Naturalien liefern, um einer Plünderung vor dem Abzug der Truppen aus dem Wege zu gehen:
2.200 Brote zu je 8 Pfund, 190 Sack Roggenmehl, 10 Sack Weizenmehl, 11 Zentner Speck, 46 Schinken, 8 Zentner Käse, 35 Schock Standkäse, 4 1/2 Zentner Dörrfleisch, 2 1/2 Zentner Rauchfleisch, 6 Zentner Bohnen, 4 1/2 Zentner Linsen, 2 1/2 Zentner Erbsen, 2 Zentner Grütze, 36 Tonnen Bier (eine Tonne = ein Hektoliter), 5.000 Liter Branntwein, 86 Malter Hafer, 52 Fuder Heu und 8 Fuder Stroh.
Darüber hinaus plünderten und verbrannten reguläre Truppen und umherstreifende Söldnerscharen zahlreiche Dörfer und Einzelhöfe. Besonders hart traf es die kleinen und abseits gelegenen Orte und Einzelgehöfte. Apelern wurde im Winter 1636/37 von den katholischen Kaiserlichen völlig ausgeplündert. Und am 16.10.1642 wurde es von französisch-weimaranischen Söldnern fast vollständig verwüstet. Teilweise verließen die geplagten Bauern ihre Höfe, die übrigen bestellten nur noch einen geringen Teil ihrer Ländereien. Große Höfe von etwa drei Hufen (90 Morgen) hatten nur noch zwei bis drei Morgen besät. Insgesamt waren bis zum Jahre 1734 im Amte Schaumburg von 863 Meierund Kötnerhöfen 523 verbrannt oder verlassen. Seit dem Frühjahr 1638 trat in der Grafschaft die Pest stark auf. Zwar wurden nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges die zerstörten Höfe bald wieder aufgebaut, die Äcker bestellt und die Viehbestände wieder ergänzt, ein gewisser Wohlstand konnte aber erst nach zweihundert Jahren wieder erreicht werden.
Die Bauernfamilien, die den Dreißigjährigen Krieg überlebt hatten, gerieten durch den allgemeinen Mangel an Arbeitskräften infolge der ungeheuren Menschenopfer während des langen Krieges in schlimme Bedrängnis. Sie wurden zu vermehrten Abgaben und erhöhten Frondiensten gezwungen. Außer dem Kirchenzehnt, der nun an die adeligen Grundbesitzer überging, mussten sie nun auch noch eine Grundund Kopfsteuer entrichten. Neu hinzu kamen auch Kriegsund Vorspanndienste. Da viele Hofstellen nach dem mörderischen Krieg unbesetzt blieben, und andere nur teilweise bestellt wurden, zogen die Landesund Grundherren die wüsten Hofstellen als Eigentum ein und vergaben diese neu an entlassene Soldaten, Knechte und besitzlose Bauern, die damit aber erbuntertänig wurden. Das bedeutete, dass der erbuntertänige Bauer an die Hofstelle gebunden war, dass er mit dem Besitz des Grundherren verkauft wurde, dass er der Gerichtsbarkeit des Grundherren unterstand, dass seine Kinder wieder zum Gesindedienst verpflichtet wurden, und dass Heirat und Fortzug der Kinder wieder vom Willen des Grundherren abhängig waren. Der Status solcher Bauern wurde allgemein mit Gutsuntertänigkeit bezeichnet.
In den mehr als hundert Jahren des Friedens, die sich nun anschlossen, hatte sich das Bauerntum langsam von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges erholen können. Dennoch blieben Missernten und Hungersnöte nicht aus. Um die Not zu lindern, versuchte Landgraf Wilhelm VIII. (seit 1730) im Jahre 1738 den Kartoffelanbau einzuführen. Erste Anbauversuche gab es auch in Rodenberg. Aber die Bauern konnten sich mit dieser neuen Feldfrucht noch nicht befreunden. Bald war es der Siebenjährige Krieg (1756-1763), der den Landfrieden brach und die Bewohner der Grafschaft in Schrecken und Not stürzte. Nach der Niederlage der verbündeten Hessen, Preußen und Hannoveraner in der Schlacht von Hastenbeck bei Hameln am 26. Juli 1757 besetzten französische Truppen die ganze Grafschaft und erpressten hohe Kontributionen, beschlagnahmten die besten Pferde und forderten große Mengen Naturalien. Danach gelang es den Verbündeten unter Herzog Ferdinand von Braunschweig, die Franzosen Ende März 1758 zu vertreiben. Aber im Jahre 1762 wurde die Grafschaft nach der Niederlage der Verbündeten in der Schlacht bei Minden am 1. August 1759 erneut von den Franzosen besetzt, ausgeplündert und ausgebeutet. Am Ende des Krieges wurde die Grafschaft von einer großen Teuerung heimgesucht.
Im Mittelalter bestellten unsere Bauern ihr Ackerland nach der Dreifelderwirtschaft. Etwa ein Drittel der Ackerfläche wurde mit Wintergetreide und ein weiteres Drittel mit Sommergetreide bestellt. Das letzte Drittel ließ man zur Erholung des Bodens brach liegen. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Brache immer mehr verringert. Im Jahre 1770 gingen die Bauern durch den umfangreichen Kleeanbau zur Stallfütterung über. Sie erlaubte eine größere Viehhaltung und die Gewinnung von mehr Stalldünger. Vor allem wurde nun in verstärktem Maße Pferdezucht betrieben. Die Tatsache, dass die Bauern damals mehr Pferde als Kühe hielten, geht auch aus der aus der Zeit um 1784 erstellten Übersicht hervor, in welcher die Bauernhöfe in Apelern einzeln aufgeführt sind:
Die folgenden Hofstellen wurden als Halbmeierhöfe bezeichnet:
Nr. 4 Judas, Johann Röwer ab 1828 heute Büthe
Nr. 5 Fashe, Hans später Thies heute Baugebiet
Nr. 6 Körner, Johann heute Grupe
Nr. 7 Meyer, Johann später Schnepel heute Weihe
Nr. 10, 16,18 ackerten mit Kühen,
Nr. 12 und 15 wurden von Verwandten bewirtschaftet.
Durch die großen Missernten der Jahre 1771 und 1772 ging wieder der Hunger durch das Land und trotz des erneuten Drängens des Landesherrn sträubten sich die Bauern gegen den Kartoffelanbau. Erst der strenge, mit Strafzumessungen ergangene Befehl des Landgrafen Wilhelm IX. im Jahre 1800, in der ganzen Grafschaft Kartoffeln anzubauen, brachte den gewünschten Erfolg. Nun konnte nicht nur der Hunger der Menschen gestillt, sondern auch die bäuerliche Viehhaltung kräftig gesteigert werden, insbesondere die Schweinemast und -zucht, da es genug Kartoffeln gab. Die bis dahin übliche Waldmast fruchtete nicht mehr.
Bald wurde in den deutschen Fürstentümern gegen den Vormarsch Napoleons mobil gemacht. Die Grafschaft, die seit dem Jahre 1803 dem Kurfürstentum Hessen angegliedert worden war, bekam dies bereits im Jahre 1805 durch Einziehungen zum Heeresdienst zu spüren. Schon am 8. November 1806 wurde die Grafschaft durch französische und holländische Truppen unter dem Befehl des holländischen Generals Daendels besetzt. Die Besatzungsnot nahm erneut ihren Anfang.
Im Frühjahr 1807 mussten die Bauern zusätzlich zu den üblichen Kontributionen alle guten Pferde an die französische Sammelstelle in Hameln abgeben. Die Lasten der Bauern verringerten sich auch nicht wesentlich, als sich am 18. August 1807 der Übergang von der Militärregierung zur Zivilverwaltung des neuen Königreiches Westphalen vollzog (im Kasseler Schloss regierte als König Napoleons jüngster Bruder Jérome).
Alle Bereiche der Verwaltung wurde nach französischem Muster umgestellt: Steuern, Gerichte, Polizeiwesen, Münzen, Maße und Gewichte. Wenn mit dem Beginn der königlichen Verwaltung zwar doch die rigorosen Requisitionen ausblieben, so verschlechterte sich doch die wirtschaftliche Lage der Bauern beständig. Wie die Schulden des Königreiches wuchsen, so wuchsen auch die Steuerlasten der Bauern. Sehr hoch blieben auch die Lasten zur Versorgung des Militärs mit regelmäßigen Lieferungen von Getreide, Futtermittel und Schlachtvieh; denn Napoleon bereitete ja den Marsch der Großen Armee nach Russland vor. Schlechte Ernten in den Jahren 1806 und 1807 und die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre und zahlreiche Zwangsversteigerungen von Hofstellen waren die ersten, sichtbaren Folgen der Ausbeutung der Bauern. Seit dem Jahre 1810 wurden auch die Söhne der Bauern in das westphälische Kontingent der Großen Armee gepresst. Viele von ihnen ergriffen deswegen die Flucht. Vor Beginn des Russlandfeldzugs (1812) glich die Grafschaft einem großen Heerlager; kein Bauernhaus blieb ohne Einquartierung.
Als am 8.2.1813 die ersten Trümmer der geschlagenen Großen Armee in Gestalt von Kranken und Verwundeten in Nenndorf eintrafen, wurden vom König neue Aushebungen befohlen. Nun regte sich aber der erste Widerstand. Viele der Wehrpflichtigen flüchteten in die Wälder oder an die Küste, um nach England zu gelangen und freiwillig in der Deutschen Legion zu dienen. Die nun auf dem europäischen Festland einsetzenden Feldzüge gegen Napoleon forderten vom Bauerntum einen hohen Blutzoll, und nach dem endgültigen Sieg (1815) fanden die Opfer des Volkes für die Befreiung vom Franzosenjoch kaum Anerkennung. Die zugesagte Bauernbefreiung vollzog sich ganz allmählich erst seit dem Jahre 1831, da sie, wie bereits erwähnt, von günstigen Krediten für die Landwirtschaft abhängig war.
Der mit der Kreditaufnahme ermöglichte Rückkauf des Ackerlandes und der dadurch ausgelöste Arbeitseifer machte sich im Jahre 1840 in der Grafschaft als ein neuer, landwirtschaftlicher Aufschwung bemerkbar: Von 77.000 Acker Saatland in der Grafschaft wurden 22.000 mit Roggen, 12.000 mit Hafer, 8.000 mit Gerste, 9.000 mit Hülsenfrüchten, 2.100 mit Ölfrüchten und 2.400 mit Flachs bestellt. Der Schafbestand belief sich auf 20.000 Stück. Die Schweinehaltung war mit 3.500 Stück verhältnismäßig gering. An Großvieh wurden 4.000 Pferde und 9.500 Kühe gehalten. Nach der Bauernbefreiung hatte sich der Bestand an Kühen im Vergleich zu den Pferden mehr als verdoppelt. Eine der Ursachen hierfür ist mit Sicherheit das Nachlassen den Spanndienste.
Um das Jahr 1850 machte sich in der Grafschaft ein zusätzlicher Aufschwung der Landwirtschaft durch die Leistungen der Industrie bemerkbar. Die in großen Mengen zur Verfügung gestellten landwirtschaftlichen Maschinen und der durch die chemischen Forschungen von Thaer und Liebig gewonnene Industriedünger (Kunstdünger) brachten die Landwirtschaft beträchtlich in Schwung. Während die Maschinen die Bodenbearbeitung gründlicher und leichter gestalteten, verbesserte der Kunstdünger die Bodendüngung und Anbauweise. Die Chemie machte nun die abwechselnde Bebauung der Ackerflächen mit Getreide und Grünfutter möglich. Somit war nun die Fruchtwechselwirtschaft am Zuge und die Dreifelderwirtschaft veraltet. Durch den Fortfall der Brache vergrößerten sich die landwirtschaftlich genutzten Flächen um ein Drittel. Infolge der einsetzenden Vermehrung des Futteranbaues wurde auch die Viehaufzucht bedeutend gesteigert. Und durch die allgemeine Vergrößerung des bäuerlichen Lebensraumes wuchs auch der landwirtschaftliche Bevölkerungsteil stark an.
Dieser Aufschwung zeigte aber auch seine Schattenseiten. Der Bauer brauchte Kapital zur Erreichung seiner Unabhängigkeit und für Maschinen und Kunstdünger. Da er das meistens nicht besaß, und sich aber der Konkurrenz durch die Massenproduktion der landwirtschaftlichen Erzeugnisse stellen musste, borgte er sich dieses Kapital gegen Zinsen. Missernten und Massenproduktion verhinderten aber ein regelmäßiges und angemessenes Einkommen. Da in einem solchen Engpass aber die Geldzinsen unabhängig vom Ertrag gleich hoch bleiben, wächst die Gefahr einer untragbaren Verschuldung. Wenn nun der Bauer Geldwucherern in die Hände fiel, blieb oft nur noch der Verkauf unter Wert oder die Zwangsversteigerung, da er als Freier nicht mehr unter dem Schutz des Grund- oder Gutsherrn stand.
So wurde mancher Bauer, der nicht gut und bedächtig wirtschaften konnte, Landarbeiter, Handwerker oder Fabrikarbeiter in der Stadt. Diesen damaligen Vorgang bezeichnete man mit Bauernentwurzelung. Das Bauerntum war nun nicht mehr Lebensform, sondern ein risikoreicher Erwerbszweig. Aus Bauern wurden vielfach Landwirte, die ihr Anwesen wie eine Fabrik verwalteten.
Nach und nach wurden nun auch alle wilden Huden in Kulturland verwandelt (1. Flurbereinigung). Ein weiterer, bedeutender Fortschritt war die Zusammenlegung (Verkoppelung) der bäuerlichen Grundstücke, die in den meisten Ortschaften der Grafschaft in den Jahren von 1870 bis 1890 durchgeführt wurde. Bis dahin bestanden die Feldfluren der meisten Gemeinden aus 1.000 bis 2.000 Flurstücken. Im Jahre 1880 sind, wie schon erwähnt, die ins Verfahren gegebenen Flächen um 78% verringert.
Durch alle diese Verbesserungen wurde das Leistungsvermögen der Landwirtschaft erheblich gesteigert. In den letzten einhundert Jahren haben sich die Erträge an Getreide und Hackfrüchten verdoppelt. Ein Nachteil, der sich in letzter Zeit immer stärker auszuwirken begann, war vielerorts die Ausrottung der großen Hecken, Baumund Buschreihen (2. Flurbereinigung), die den Äckern Wind-und Wasserschutz und den Schädlingsvertilgern Unterschlupf gaben. Da vor allem der Anbau von Hackfrüchten und Grünfutter stark ausgedehnt wurde, war damit auch die Voraussetzung für eine Vermehrung der Viehaufzucht erfüllt. Während die Schafhaltung fast ganz eingestellt wurde (im Jahre 1840 zählte man in der Grafschaft noch 20.000 Schafe), nahmen die Rindvieh- und Schweinebestände beträchtlich zu. Deshalb wurden um das Jahr 1890 die ersten Molkereien eingerichtet. Im Jahre 1938 verarbeiteten sie in der Grafschaft bereits 31 Millionen Liter Milch. Auch im Gemüseanbau und in der Saatzucht erzielte man gute Ergebnisse.
Wenn unsere Bauern auch gern am Alten festhalten, so haben sie sich doch dem Fortschritt nicht verschlossen. Sie haben sich die neuesten Ergebnisse der Forschung und Erkenntnisse über die Bodenbearbeitung, über Pflanzen- und Tierzucht zunutze gemacht. Diese Entwicklung verdanken sie aber auch den ländlichen Genossenschaften, den bäuerlichen Vereinigungen, den landwirtschaftlichen Schulen in Rodenberg und Rinteln und den Versuchsanstalten und Beratungsstellen.
Da es mir schwer fiel, die voneinander abhängigen Geschehnisse in der Geschichte des Bauerntums aus dem Zusammenhang zu reißen, konnte ich nicht umhin, die Entwicklung der Landwirtschaft chronologisch und ziemlich ausführlich darzulegen. Allein die chronologische Berichterstattung lässt keine geschichtlichen Lücken zu, wenn man eine verständliche Darstellung des Geschehens anstrebt. Es war auch ein persönliches Anliegen, in der bäuerlichen Nachkommenschaft durch eine umfassende Darstellung des beständigen Lebenskampfes der Vorfahren Empfindungen wachzurufen, die dazu beitragen können, das gegenwärtige Abbröckeln der Bindung an die eigene Scholle aufzuhalten.